Ein Rettungswagen des Stroke-Units der Berliner Feuerwehr im Einsatz

Therapie Mit Katheter gegen Schlaganfall

Stand: 10.05.2024 06:02 Uhr

Die Entfernung von Blutgerinnseln im Gehirn mithilfe eines Katheters ist nicht neu, aber Studien zeigen, dass diese Therapie viel besser ist als erwartet. In Zukunft könnte sie noch häufiger eingesetzt werden.

Von Nadine Becker, NDR

Dauerhafte Lähmungen, Sprachstörungen, Pflegebedürftigkeit - die Folgen eines Schlaganfalls können gravierend sein. Fast 270.000 Menschen in Deutschland erleiden jedes Jahr einen Schlaganfall. Bis zu 40 Prozent der Betroffenen versterben binnen des ersten Jahres danach. Die Katheter-Behandlung kann helfen, das Outcome bei schweren Schlaganfällen zu verbessern. Das zeigen immer mehr Studien. Dennoch wird sie noch nicht bei allen Patienten und Patientinnen, die davon profitieren würden, angewandt.

Kathetereingriff hat die Schlaganfallmedizin revolutioniert

Tilman Hassenstein, NDR, tagesschau, 10.05.2024 12:00 Uhr

Time is brain - Jede Minute ist für Hirnzellen kostbar

In den meisten Fällen ist ein Blutgerinnsel die Ursache für einen Schlaganfall. Es verschließt ein Gefäß im Gehirn. Die Folge: Das umliegende Areal wird von der Durchblutung abgeschnitten und bekommt nicht mehr genug Sauerstoff. Ein Zustand, den die Nervenzellen nur wenige Minuten tolerieren können. Nach drei bis fünf Minuten ohne Sauerstoff beginnen sie abzusterben.

Schon nach fünf Minuten kann es zu irreparablen Schäden im Gehirn kommen. Die Standardtherapie ist die sogenannte Thrombolyse, die intravenöse Gabe eines Medikaments, das das Blutgerinnsel auflöst. Verschließt das Blutgerinnsel jedoch ein großes Hirngefäß, kann diese Therapie nicht ausreichend sein.

Katheter: Von der Leiste bis ins Gehirn

Mit einem wenige Millimeter dicken Schlauch gelangen Ärzte und Ärztinnen über die Blutgefäße von der Leiste bis an den Ort des Blutgerinnsels im Gehirn. Dann können sie es absaugen oder mit Hilfe eines Drahtgeflechts herausziehen. Eine Therapie, die nicht neu ist: Bereits in den 90er-Jahren wurde dieses Verfahren bei Schlaganfällen eingesetzt. Doch lange Zeit hatte die Medizin Bedenken, mit der Katheter-Behandlung mehr Schaden im Gehirn anzurichten, als zu nutzen.

Die große Sorge: sogenannte Reperfusionsschäden. Wird das Blutgerinnsel entfernt, strömt rasch wieder Blut mit hohem Druck in eventuell bereits geschädigtes Gewebe. Dadurch könnte es zu weiteren Schäden kommen, es könnten zum Beispiel neue Blutgerinnsel oder auch eine massive Blutung entstehen.

Erfolgsgeschichte Katheter-Therapie

In den vergangenen Jahren haben jedoch immer mehr Studien gezeigt: Die Katheter-Therapie hilft Patienten und Patientinnen mit einem schweren Schlaganfall mehr, als dass sie schadet. Zunächst konnten einige Studien aus Japan, China und dem Englisch-sprachigen Raum positive Effekte zeigen. Nun belegt auch die von der Europäischen Union mit sechs Millionen Euro geförderte TENSION-Studie den Nutzen der Katheter-Therapie bei schweren Schlaganfällen.

Studie wegen eindeutigem Ergebnis vorzeitig abgebrochen

40 Schlaganfallzentren in Europa und ein Krankenhaus in Kanada haben unter der Leitung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und des Universitätsklinikums Heidelberg von 2018 bis 2023 an der Studie zur Untersuchung der Thrombektomie als Therapie bis zu zwölf Stunden nach Ereignis-Eintritt bei großen ischämischen Schlaganfällen teilgenommen.

Das Ergebnis der im Fachmagazin Lancet veröffentlichen Studie: Bei 20 Prozent der Patienten und Patientinnen konnten durch die Katheter-Therapie der Tod oder eine Pflegebedürftigkeit verhindert werden. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die nur die medikamentöse Lyse-Therapie bekam (so wie es in Deutschland Standard ist), gab es in der Thrombektomie-Gruppe elf Prozent weniger Todesfälle.

Zudem hatten die Katheter-behandelten Personen ein deutlich besseres funktionelles Outcome: Von ihnen konnten mehr Menschen 90 Tage nach dem Eingriff selbstständig gehen und deutlich weniger Personen waren auf dauerhafte Hilfe angewiesen. Beim Auftreten von Blutungen beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler keinen alarmierenden Unterschied zwischen den beiden Gruppen.

Da diese eindeutigen Ergebnisse bereits zur ersten geplanten Zwischenanalyse festgestellt wurden, brachen die Forschenden die Studie danach vorzeitig ab. Es wäre ethisch nicht vertretbar gewesen, weiterhin Menschen einer Kontrollgruppe zuzulosen, in der sie die keine Kathetertherapie angeboten bekommen.

Deutsche Therapie-Empfehlungen noch nicht angepasst

"Die Thrombektomie hat die Schlaganfallmedizin revolutioniert“, sagt Andreas Kastrup, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Bremen Mitte und einer der Mitautoren der TENSION-Studie. "Früher mit einer alleinigen medikamentösen Therapie ist es uns in der Regel nicht gelungen, solche großen Gefäßverschlüsse wieder aufzumachen. Und heutzutage gelingt das mit diesem Verfahren", berichtet er.

Dadurch könne nun das Leben vieler Patientinnen und Patienten verbessert werden, auch wenn das Auftreten des Schlaganfalls gegebenenfalls bereits mehr als sechs Stunden her sei und ein großer Infarktkern bestehe.

In die deutsche und die internationalen Leitlinien zur Behandlung von ischämischen Schlaganfällen haben die neuen Erkenntnisse zur Thrombektomie jedoch noch keinen Eingang gefunden. In der 2022 zuletzt aktualisierten deutschen Leitlinie gilt die medikamentöse Lyse-Therapie für Deutschland immer noch als Standardtherapie, und eine Thrombektomie soll nur angewandt werden, wenn nachweisbar erst wenig Hirngewebe geschädigt worden ist.

Götz Thomalla, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der die Studie mit geleitet hat, sagt: "Die Ergebnisse der TENSION-Studie zeigen, dass eine Katheterbehandlung auch bei schweren Schlaganfällen wirksam ist", und auf Grundlage dessen könne nun die Standardtherapie bei schweren Schlaganfällen erweitert und so die Versorgung von Patientinnen und Patienten verbessert werden.

"Man kann vieles verhindern", Götz Thomalla, Neurologe Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, zur Katheterbehandlung bei Schlaganfällen

tagesschau24, 10.05.2024 11:00 Uhr

Stroke Units müssen Thrombektomie vorhalten

Schlaganfall-Stationen, sogenannte Stroke Units, sind spezialisierte neurologische Stationen, die bestimmte Voraussetzungen für die akute Behandlung von Schlaganfall-Patienten erfüllen müssen. Zum Beispiel müssen sie 24 Stunden am Tag eine mögliche Behandlung durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Neurologie, sowie eine dauerhafte Computertomografie zur Darstellung der Blutgefäße (CT-Angiografie) gewährleisten.

Zertifiziert werden die Stationen von der Deutschen Schlaganfall Gesellschaft. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Thrombektomie müssen seit 2022 überregionale Stroke Units auch eine Rund-um-die-Uhr-Katheter-Interventionsbereitschaft als Mindestanforderung vorhalten. Regionale Stroke Units können hierfür mit einem Thrombektomie-Zentrum kooperieren, in das sie Patientinnen oder Patienten verlegen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der NDR in der Sendung "Visite" am 07. Mai 2024 um 20:15 Uhr.